Sind Führungskräfte blind oder uneinsichtig?
Auch die Chefs sollten nach Meinung der Beschäftigten regelmäßig Schulungen besuchen
Der Zeitpunkt für gute Vorsätze ist vorbei, der Jahreswechsel gerät schon wieder in Vergessenheit. In den letzten Monaten haben mich beruflich zwei Umfragen beschäftigt, die sich mit Führung, Personalentwicklung und Weiterbildung beschäftigten. Die beiden Beiträge zu den Umfragen können Sie gerne nochmals nachlesen.
Was mich besonders dabei umtreibt, ist eine Feststellung, die sich in beiden Studien (Gallup-Studie 2017 und HR-Report 2017) findet. Es gibt eine sehr große Diskrepanz zwischen dem Weiterbildungsbedarf für Führungskräfte aus der Sicht der Mitarbeitenden und der Bereitschaft und Einsicht der Chefs, eine entsprechende Weiterbildung für Führungskräfte zu suchen und zu besuchen.
Sind wir Führungskräfte blind oder sehen die Mitarbeitenden etwas, was es nicht gibt?
Ich verwende das Wort „WIR“, da ich selbst mehr als 20 Jahre als Führungskraft gearbeitet habe und mich noch immer so fühle. Ich gestehe, dass ich bis vor kurzer Zeit ähnlich gedacht und gehandelt habe. Die Anzahl der Fortbildungen in den letzten 5-10 Jahren meiner Managementtätigkeit lässt sich an 5 Fingern abzählen. Und wenn ich auf einer Weiterbildungsveranstaltung war, hatte sie mit Führungsinhalten sehr wenig zu tun. Nach der einjährigen Ausbildung zum Coach und Trainer muss ich zugeben, dass das falsch war. Was ich mittlerweile gelernt habe, hätte mir damals schon viel genutzt. In der heutigen Zeit mit der schnell fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung ist eine Weiterbildung bei der Führungsarbeit unumgänglich, um am Ball zu bleiben.
Was macht uns so uneinsichtig? Haben wir Angst vor der Veränderung? Warum überwiegt nicht die Neugierde auf das Neue? Warum fällt es uns schwer, unser Führungsverhalten auf den Prüfstand zu stellen?
Vielerorts werden Mitarbeiterbefragungen durchgeführt und dabei das Feedback der Beschäftigten über die Führungsarbeit eingeholt. Meist finden sich plausible Erklärungen für das Ergebnis. Weiterentwicklungen, Konsequenzen oder Bestrebungen, etwas zu ändern und besser zu machen, sind selten die Folge. Es bleibt, wie es ist. Basta. Wozu auch? Der Firma geht es doch gut.
Die Informationsvielfalt und Schnelligkeit wirkt auf jeden Einzelnen von uns, privat und beruflich, ein und beeinflusst unser Verhalten in zunehmendem Maße. Heute greifen wir mehr als hundert mal täglich an unser Smartphone, leiten Nachrichten sekundenschnell an viele Menschen weiter und schicken uns Bilder und Videos, die wir kaum noch betrachten und anschauen können, weil wir dafür keine Zeit haben. Wir sind ständig und überall erreichbar, ohne wirklich bei der Sache zu sein, wenn wir auf das Smartphone sehen und betrachten, was uns gerade erreicht. Wir überprüfen die Aussagen von Chef und Kollegen auf ihren Wahrheitsgehalt im unsicheren Internet, meinen überall mitreden zu müssen und bekommen dafür vorselektierte Halbwahrheiten von Google und Co. geliefert.
Immer mehr Stellenbesetzungen von Fachkräften gehen auf Direktansprachen in sozialen und beruflichen Netzwerken zurück. Bewerber recherchieren detailliert über Unternehmen, Betriebsklima und vieles mehr, bevor sie eine Stelle wechseln.
In meinen Kommunikationstrainings erkläre ich, dass über 60% des Kommunikationsinhaltes nonverbal, auf der emotionalen Ebene, transportiert wird. In einer Welt voller Impulse im Sekundentakt übersieht man schnell etwas. Bei der Kommunikation mit Kurznachrichten geht vieles verloren. Wenn Führung emotional und empathisch sein soll, die Mitarbeiter motivieren und begeistern soll, können wir nicht auf Emotionen verzichten. Für ein gutes Betriebsklima und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dürfen wir Gefühle und Stimmungen nicht übersehen. Geht uns dieser Bereich verloren? Ist die Gefahr nicht groß, dass wir als Führungskräfte immer mehr verlernen, die Stimmungen zu spüren oder auf das Bauchgefühl zu hören? Wie viel Zeit und Mühe investieren wir, um das Klima der Zusammenarbeit zu gestalten? Die Kenntnisse, wie das überhaupt geht, sind vielfach in den Hintergrund gedrängt oder müssten mal wieder aufgefrischt werden.
Im Sport lernen wir, dass die erfolgreichsten Teams diejenigen sind, die voller Begeisterung und Enthusiasmus an die Arbeit gehen. Die Gefühle gehören dazu, um große Dinge zu vollbringen, aber auch um Rückschläge zu verarbeiten. Aber Emotionen entwickeln sich oft langsam, das Denken ist vielmals schneller als das Spüren oder Fühlen. Wir lesen die nächste Nachricht, ohne uns die Zeit zu nehmen, uns über die vorausgehende zu ärgern, zu freuen oder den Verdruss wahrzunehmen, der zwischen den Zeilen lauert. Wir finden kaum mehr Zeit, um Erfolge zu feiern und die Begeisterung in die nächste Aufgabe mitzunehmen.
Die digitale Revolution stellt gerade unser gesellschaftliches und privates Zusammenleben auf den Kopf. Sie bietet viele Möglichkeiten und birgt einige Risiken. Und sie findet im beruflichen Umfeld genauso statt wie im privaten Miteinander. Sie aktiv zu gestalten, ist die große Aufgabe unserer Zeit, damit wir nicht überrollt werden, auch wenn es uns und unserer Firma noch gut geht.
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